Was ist überhaupt ein Research and Documentation Center on Genocide (RDCG)?

Während meines Praktikums habe ich die vorgeschlagene Research Policy des Centers, das noch in Kinderschuhen steckt, verbessert, korrigiert und komplettiert. Dadurch habe ich einen tieferen Einblick in das RDCG und die CNLG erhalten, und konnte mir zum ersten Mal in etwa ein Bild davon machen, was staatliche Genozid-Prävention in Ruanda eigentlich bedeutet (Wobei ich ehrlich zugeben muss, dass ich mir nicht sicher bin, ob das RDCG eine Schein-Institution ist oder tatsächlich mit der Intention geschaffen wurde, genuine Forschung zu betreiben, aber dazu an anderer Stelle mehr).

Das RDCG ist institutionell als Abteilung der Nationalen Kommission für den Kampf gegen den Genozid (CNLG) zu verorten. Die CNLG ist eine staatliche Kommission, die geschaffen wurde, um gegen die Verleugnung des Genozids zu kämpfen (sowie gegen Ideologien wie die des „Double Génocide“). In diesem Zusammenhang hat das RDCG im globalen Rahmen die Aufgabe, professionell und akademisch Forschung zu betreiben, um die Tatsache „Genozid“ von 1994 mithilfe von Professionalität und Verifikation zu stützen.

In Kapitel II, Artikel 4 des Gesetzes über Zuständigkeiten, Organisation und Funktionsweise CNLG heißt es, dass die Aufgabe der Kommission sei, “to initiate the creation of a national research and documentation center on genocide.”
Die Beziehung zwischen Forschung, Präservation und Dokumentation von und über den Genozid bringt das RDCG in eine Situation, in der es diese verschiedenen, teils komplementären, aber kontextual manchmal auch widersprüchlichen Ziele in Balance bringen muss (warum ich das behaupte, dazu später mehr). Die Research Policy vermittelt hingegen, dass eine Integration von Forschung und Präservation/Dokumentation zu mehr qualitativer Effizienz der Forschungsprojekte beiträgt. Dadurch, dass beispielsweise ForscherInnen mit ArchivistInnen zusammenarbeiten, erhalten sie Einblick in Archivierungsprozesse und können so besser auf die (archivierten) Gacaca-Daten zugreifen, die für sie relevant sind.

Die primäre Forschungsquelle stellt die Gacaca-Datenbank dar, die mehr als 50 Millionen Einzelfälle mit detaillierten Schilderungen der Zeugenaussagen und Prozesse enthält, die vor den Gacacatribunalen abgehalten wurden. Das RDCG hat mit der Verantwortung über die Gacaca-Datenbank sowohl eine wichtige Forschungsquelle, aber gleichzeitig auch die immer dringlicher werdende Herausforderung erhalten, bestmögliche Wege zu finden, die Gacaca-Datenbank akademisch nutzbar und zugänglich machen zu können.
In der Research Policy heißt es, dass Archive grundsätzlich von professionellen ForscherInnen überwacht und gemanagt werden sollen, da nur diese über wichtige Kenntnisse verfügen, die den Forschungsnutzen maximieren können.
Aus Sicht des RDCG ist es ein Vorteil, Präservation und Dokumentation mit Forschung zu vereinen, da dadurch die ForscherInnen die Kontrolle über Organisation und Management der Archive behalten und dies zur Funktionalität (sic!) des RDCG beiträgt. Weitere Vorteile lägen laut der Research Policy in der Kostenreduktion, da weniger Arbeitskräfte benötigt werden, sowie in erhöhter Produktivität, die Ziele des RDCG besser zu erreichen.

I.) Methoden & Struktur des Centers

Das RDCG hat zum selbsterklärten Ziel, Forschung zu betreiben, die Zuverlässigkeit, faktischer Geltung und einer transparenten Methodologie folgt. „All research that is undertaken must follow in compliance with the mission of CNLG.”
Um diesem Anspruch gerecht zu werden und sicherzustellen, dass sie offiziellen Anweisungen folgen, sollen alle angestellten ForscherInnen am RDCG einem festgelegten Protokoll folgen. Forschungen werden nur auf Basis von Themen und Methoden durchgeführt, auf die man sich im Vorfeld offiziell geeinigt hat.

A. Forschungs- und Studienfelder
Aufgrund des Umfangs von Feldern und Themen, die Genozid betreffen, hat die CNLG das RDCG angewiesen, sich auf folgende 5 Forschungsfelder zu beschränken:

1) Genozidstudien und Prävention
2) Interdisziplinäre und Komparative Studien
3) Post-Genozidale Auswirkungen und Regenerationsprogramme
4) Geschichte und Gesellschaft
5) Genozidverleugnung und ihre Folgen

Außerdem gibt es die Möglichkeit, bzw. die Idee, zwei weitere Forschungsfelder hinzuzufügen: eines, das der überwältigenden gesellschaftlichen Bedeutung von Gacaca Beachtung zollt – die Gacaca Studien. Ein weiteres Forschungsfeld kann in der materiellen Beweisführung des Genozids liegen. Forschung auf diesem Gebiet kann dazu beitragen, präventive Maßnahmen und Methoden zu entwerfen, um zukünftige Völkermorde zu verhinden, sowie um die Öffentlichkeit über komplexe genozidale und post-genozidale Prozesse aufzuklären.

1. Genozidstudien und Prävention:
Die Prävention von Genozid ist ein Schlüsselbereich in der Forschung. Grundsätzlich sollte der Fokus in Prävention und Bildung gelegt werden, sowohl im formalen als auch im informellen Sinne. Forschung anhand von Inhalts- und Diskursanalysen bestimmter Schulbücher und –materialien kann helfen, präventive Mechanismen zu entlarven. Wie zum Beispiel im Artikel über „Dehumanization and Anti-Dehumanization“, das ich für Dr. Gasanabo entworfen habe. Darin habe ich vergleichende Textanalysen von Schulbüchern vor 1994 und nach 1994 durchgeführt, anhand derer Dehumanisierungs-, Antidehumanisierungsprozesse und Empfehlungen für Geschichtsunterricht in Schulen abgeleitet werden können.
Dennoch resultieren präventive Effekte nicht ohne Weiteres aus dem Vorhandensein von Wissen und Fakten über Genozid, sondern müssen in ein Netz angemesser pädagogischer Methoden eingebettet werden. Daher steht Prävention am Ende eines Prozesses, der stufenweise erklimmt werden muss. Zunächst werden Fakten über Genozid und historische Prozesse erworben, wobei darauf geachtet werden muss, dass auch das Vermitteln von Faktenwissen gut durchdacht werden muss. Da Geschichtsschreibung oftmals eine Konnotation bzw. Subjektivität innewohnt, sollten Quellen kritisch und intensiv analysiert werden.
Daher hat Bildung im Zusammenhang mit dem RDCG eine besondere Bedeutung, denn Informationen und Wissen müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Zugang ist jedoch nur ein Teil eines präventiven Bildungsansatzes, denn ein ganzheitlicher Ansatz muss langfristige Aspekte miteinbeziehen, die zu einem effektiven didaktischen Resultat in Genozidprävention führen können, nämlich: kritisches Denken, (Vor-)Wissen, Beziehung zu Authoritäten sowie zur eigenen Identität, Beziehung zu Erinnerungen und der eigenen Geschichte, sowie der Fähigkeit, auf Diskriminierung zu reagieren. (Diese Aspekte sind von besonderer Bedeutung, da es sich hierbei spezifisch um die Ruandische Bevölkerung handelt, und nicht um allgemeine Aussagen über Bildung und Prävention).

Um dem Bildungsanspruch und der Transparenz gerecht zu werden, könnten die Gacaca-Dokumente, die von dem RDCG verwaltet werden, auch ausgestellt oder veröffentlicht werden, beispielsweise in speziellen Ausstellungen oder Foren, die allen Ruandern zugänglich sind. Als Beispiel könnte der International Tracing Service (ITS) in Bad Arolsen (http://www.its-arolsen.org) dienen, das auf Anfrage Auskünfte aus dem Archiv an Überlebende und Familienangehörige sowie Forscher und Interessierte erteilt. Mit recht einfachem Zugang und öffentlicher Internetpräsenz könnte der International Tracing Service (ITS) wichtige Anregungen für das RDCG bezüglich der Nutzung der Gacaca-Datenbank liefern.

2. Post-Genozidale Auswirkungen und Regenerationsprogramme:
Dieser Forschungsbereich widmet sich den Auswirkungen des Genozids, die im Laufe der Zeit ganze Nationen und Regionen betroffen haben. So wie Genozide sich je nach kulturellem und historischem Kontext qualitativ voneinander unterscheiden, erholen sich verschiedene Länder und Bevölkerungen in ihrem jeweils einzigartigen Kontext. Zwar gibt es keine allgemeingültige Methode der Trauer, der Heilung und der Zukunftsorientierung, dennoch ist es möglich, die „besten Beispiele“ von Nation-Building und Regeneration nach Massentrauma, Gewalt und Völkermord zu analysieren. In dem speziellen Fall von Ruanda sind die Folgen des Genozids zahlreich und komplex: Waisen; Witwen; Behinderte, HIV-infizierte und Kinder; psychische Probleme; usw. Daher müssen Heilungs- und Wiedereingliederungstrategien und -Prozesse dokumentiert werden, um als Lektion für künftige Generationen auf globaler Ebene dienen zu können. Die Einführung der Gacaca-Gerichte als restaurative Form der Gerechtigkeit ist über Strafjustiz hinaus gegangen, und hat anschließend im post-genozidalen Ruanda zum Wiederaufbau von Vertrauen auf individueller und kollektiver Ebene beigetragen. Diese, sowohl traditionellen als auch innovativen Gerichte hatten einen signifikanten Einfluss auf die Transformation der ruandischen Gesellschaft. In Anbetracht der transformativen Auswirkung der Gacaca-Tribunale verdienen sie ein eigenes Forschungsgebiet, welches sich ausschließlich den Gacaca Studien widmet.

3. Genozidverleugnung und ihre Folgen:
Seit dem Genozid an den Tutsi gibt es eine zunehmende Anzahl an Genozidleugnern innerhalb und außerhalb Ruandas. Es ist entscheidend, dass das RDCG auf solche gefährlichen Behauptungen reagiert, und zwar mithilfe einer Wissenschaft, die zu einem evidenz-basierten Verständnis der Kernursachen und -Einflüsse von Genozidverleugnung und -verharmlosung beiträgt. Forschung in diesem Bereich kann helfen, besser zu verstehen, wie Genozid-Leugner ihre Ideologie eines „doppelten Genozids“ verwenden, um dieses Konzept in professionelle Ebenen der Gesellschaft, wie zum Beispiel in Kreisen der Forscher, Akademiker, Historiker, Politiker, Menschenrechtsaktivisten, und in die Medien zu implementieren versuchen, um ihrer „bösartigen Gesinnung“ (sic!) Legitimität zu verleihen.
Forschung kann dazu beitragen, Wurzeln und Gründe für Verleugnung anhand von sozialen, psychologischen und wirtschaftlichen Bedingungen zu enthüllen. Mit diesem Wissen wird es möglich sein, pädagogische Ansätze zu erarbeiten, um Genozid-Leugnung und –Verharmlosung zu begegnen.

4. Interdisziplinäre und Komparative Genozidstudien:
Interdisziplinäre und komparative Genozidstudien sind ebenso ein integraler Bestandteil, um genozidale Prozesse zu verstehen. Obwohl Länder und Nationen einzigartig sowie Genozide voneinander unterschiedlich sind, lassen sich Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen geographischen Orten und kollektiven Erfahrungen feststellen. Um zu verstehen, was in einem Land vorgefallen ist, kann es von Vorteil sein, es mit einem anderen Land zu vergleichen, in dem zumindest vergleichbare Prozesse oder Ereignisse aufgetreten ist. Dies ist nicht unbedingt ein Vergleich zwischen dem erlebten Schmerz oder zwischen Opferzahlen, sondern ein Mittel zum Verständnis historischer Ereignisse und zur Entwicklung allgemeiner Theorien über solch komplexe soziale Phänomene, mit dem Ziel, Genozid in Zukunft zu verhindern. Darüber hinaus erfordert die qualitative Methodik des Erklärens und Verstehens einen interdisziplinären Ansatz. Die Kombination von Expertenwissen verschiedener Forscher kann zu einem besseren Verständnis der Komplexität von Völkermord führen.

5. Geschichte und Gesellschaft:
Forschung im Bereich von Geschichte und Gesellschaft kann das Verständnis darüber stärken, wie Ruander vor, während und nach der Kolonialzeit miteinander gelebt haben, und wie historische Dynamiken bestimmte Faktoren gefördert und vermittelt haben, welche zukünftige Ereignisse beeinflusst haben. Um es mit den Worten Paul Ricoeurs zu sagen (1985), „müssen wir die Vergangenheit und die Gegenwart kennen, um unsere Zukunft zu bauen.“

Abgesehen davon, dass die politische Einrichtung der Gacaca-Tribunale eine Folge des Genozids darstellte, sind die Auswirkungen und Resultate der Gacaca-Tribunale von erheblicher Bedeutung für Forschung. Im Hinblick auf gesellschaftliche Transformation, haben die Gacaca-Tribunale ein Phänomen konstituiert, was Marcel Mauss eine „totale gesellschaftliche Tatsache“ (fait social total) nennt. Mehrere Aspekte unterstreichen diese Annahme: das Verhältnis zwischen Gacaca und Trauer, zwischen Gacaca und Gerechtigkeit, zwischen Gacaca und grundlegenden sozialen Bindungen, Erinnerungen, Institutionen, Politik und insbesondere der Subsidiarität durch Stärkung lokaler Akteure, das legislative Verfahren selbst in die Hand zu nehmen. Aufgrund der verschiedenen Aspekte und der tiefgreifenden Auswirkungen von Gacaca, kann es erforderlich sein, als separates Forschungsfeld behandelt zu werden.
In Bezug auf materielle Genozid-Beweisführung hat das RCDG den Vorteil, zahlreiche zur Verfügung stehende Ressourcen zu enthalten. In verschiedenen Gedenkstätten ist materielle Beweisführung vorhanden, einschließlich Hinterlassenschaften, Kleidung, Schuhe, Kochmaterialien, Fotografien und Mordwaffen – Beweise, die erhalten werden müssen. Seit dem Völkermord sind physische Artefakte, ein wesentliches Instrument bei der Bekämpfung der Völkermord-Leugnung, besonders gefährdet, verloren zu gehen oder in einen verschlechterten Zustand zu geraten. Zur Unterstützung der Bemühungen zur Bewahrung, hat die CNLG ein Forensisches Mobiles Labor mit allen nötigen Einrichtungen erworben, inklusive 20 Acryl-Särge im Wert von RWF 168.062.882. Diese moderne und anspruchsvolle Ausstattung kann zur Konservierung von Genozid-Beweisen verwendet werden, denn sie ist fähig, materielle Beweise für über 150 Jahre zu konservieren. Das Mobile Labor und die 20 Acryl Särge wurden bereits an der Murambi Gedenkstätte installiert.

ForscherInnen am RDCG sind jeweils den oben aufgeführten Themen zugeordnet und verpflichtet, ihre Forschung ausschließlich in den ausgewählten Bereichen durchzuführen. Darüber hinaus ist ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, um die vielfältigen Themen, die mit Genozid zusammenhängen, insbesondere mit Augenmerk auf eine Entwicklung effizienter Methoden in Prävention, Wahrheitsfindung und Versöhnung sowie nation-building.

persönliche Memo:
Tatsächlich hat die Kommission eine klare politische Linie, die ich insbesondere an eigenen Erfahrungen wahrgenommen habe. Mit Aufgaben betraut wie z.B. eine Präsentation über ethische Fragen in Methodologie und eine Brücke zum Genozid-Gedenken zu schlagen, dachte ich beim Verfassen und Zugang zur Präsentation nicht darüber nach, dass es möglich sei, „etwas Falsches zu sagen“ – aber ich war mir im Klaren darüber, dass mein Chef, der die Präsentation halten würde, das herauslassen würde, was nicht in die politische Linie der CNLG passt: wie beispielsweise einen Aspekt, den ich als Nachteil der Commemoration angeführt habe – „die Unterdrückung marginalisierter Stimmen“ sowie „einseitige historische Narrative“.
„Nein, das kann ich nicht sagen“, sagte er mir, rief in irgendeinem Büro an, schilderte das Problem, und erhielt dann die Antwort, die Folie zu löschen. Die Person am Telefon sagte: „Wann genau hältst du die Präsentation? Ich werde da sein.“