Heiraten für Anfänger – Teil 1: Der Kampf um die Geburtsurkunde

Mein Freund (Ruander) und ich (Deutsche) wollen heiraten, nach fast fünf Jahren der Fernbeziehung – teilweise hart und schmerzvoll, und doch die schönsten Jahre meines Lebens, weil ich in meinem Partner meinen besten Freund und meinen liebsten Weggefährten gefunden habe.

In den kommenden Monaten werde ich hier eine Reihe von Einträgen veröffentlichen, die unseren Weg zu einem gemeinsamen Leben porträtieren. Es ist jetzt schon ersichtlich, wo wir ja erst am Anfang des Kampfes gegen Bürokratie, Rassismus und Behörden stehen, dass es nicht leicht wird. Und das fängt schon bei der Suche nach seiner Geburtsurkunde an.

Teil 1: Der Kampf um die Geburtsurkunde

Wenn von Dezentralisierung in Ruanda die Rede ist, dann verbindet sich die Diskussion oftmals mit Demokratisierung, ownership, accountability und Transparenz. In der Theorie und in der Retrospektive auf die Errungenschaften dieses zerrütteten Landes ist der decentralization-talk ein Meilenstein auf dem Weg zu einer vertieften Einbindung der Bevölkerung auf lokaler Ebene. In der Praxis jedoch, bedarf das Thema mehr Ehrlichkeit – und manchmal knallharte Fallstudien, die in meinem Falle ungewollt kommen.

Was bedeutet eine Nummer auf dem Korruptionswahrnehmungsindex? Dass Ruanda sich von den Nachbarstaaten positiv hervorhebt, mag eine verdiente Errungenschaft sein. Dass aber meine kleine ungewollte Fallstudie ein wenig kompliziert ist, muss nicht unbedingt das Gegenteil bedeuten. Es bringt für mich jedoch etwas Licht in abstrakte politische Figuren und Indizes, die mit dem wahren Leben nur marginal zu tun haben.

Mein Partner (Ruander) und ich (Deutsche) haben 5 Jahre miteinander verbracht, mit einer Fernbeziehung  und kulturellen Hürden gekämpft, und wollen eine Ehe eingehen. Das ist der status quo, von dem wir seit etwa zwei Jahren träumen. Nun, heißt es, genug geträumt. Vielleicht sind wir auch nicht bewandert genug gewesen, um zu verstehen, wie man eine Geburtsurkunde beschaffen kann.

2013 sind wir erstmals zum lokalen Regierungsbüro gegangen, um herauszufinden, was denn zu tun wäre um eine solche Geburtsurkunde zu bekommen. Da beginnt schon die Komplikation. In Ruanda ist das regierungs- und administrative System in immer kleinere Einheiten unterteilt, die bei der kleinen Nachbarschaft von wenigen Häusern (umudugudu) zur Gemeinde (akagari) bis hin zum Stadtteil (umurenge) reicht. Man bekommt nur, was man von der Stadt möchte, wenn man vorher das Nachbarschaftsbüro, das Gemeindebüro usw. abklappert und von allen relevanten politischen „Führern“ (abayobozi) eine Unterschrift für sein Anliegen erhält. Diese Unterschriften sind aber nicht kostenfrei. Meist fragen sie „ein Bier“ oder zwei, oder „Guthaben für das Telefon“, oder eine „Entschädigung für die investierte Zeit“, die bis zu 10 Euro pro Person betragen. Wenn man für einen Schritt, bsp. bei der Nachbarschaft, jedoch sechs Unterschriften von wichtigen Leuten braucht, kommt man auf 60 €. Rechne das mal drei und du bekommt eine erste „Geburtsbescheinigung“ (attestation de naissance), die du brauchst, um eine Geburtsurkunde zu beantragen.  Das ist jedoch nicht einmal 50 % von dem was wir brauchten.

Nun, von Beginn. Wir sind zum Stadtbüro gegangen, um nachzufragen. Diese haben uns zur Nachbarschaft (umudugudu) geschickt, um besagte Unterschriften einzuholen. Den ganzen weg bottom-up durch die Behörden haben wir dann eine Geburtsbescheinigung erhalten, die jedoch nur 3 Monate Gültigkeit besitzt. Mit dieser Bescheinigung muss man zur Bank gehen und 25 000 rwf an die Stadt bezahlen (etwa 35 Euro), sowie ein formales Anschreiben erstellen, in dem man nach der Geburtsurkunde fragt. Die Vorlage dafür hängt im Stadtbüro, die wir also kopiert und ausgefüllt haben. Alle Dokumente eingereicht und gewartet. Keine Antwort bekommen. Keine einzige Antwort bekommen. Nach 2 Monaten war es genug und wir gingen zurück ins Büro, die Dame am Schalter sagt, wir müssen Unterschriften seiner Eltern einreichen, die bestätigen, dass er geboren wurde (gleicher Fall wie bei der Beantragung seines Reisepasses).

Wie findet man einen Vater, der seine Familie schon während des Völkermordes aufgegeben hat und sich in unbekannten Orten zwischen 10 Millionen Menschen herumtreibt? Suchen, sein Haus finden, er ist nicht da, ist gerade Bier trinken, kommt erst morgen wieder. Okay. Zurück zur Behörde. Den Fall erläutert. Andere Person sitzt am Schalter. Sagt, neee, also, ihr müsst damit nach Gisenyi (an der Grenze zum Kongo), weil er da geboren ist, die stellen euch eine Geburtsurkunde aus. Morgens um 6 Uhr los, fahren wegen Verkehr 5 Stunden nach Gisenyi, das Gerichtsbüro ist geschlossen. Beschließen, zu übernachten und morgen früh um acht hinzugehen. Gehen hin, dort sagt man uns, nein – das kann man auch in Kigali bekommen, wir sind nicht zuständig für Leute, die in Kigali wohnen. Okay, das mit der Zuständigkeit üben wir alle nochmal. Drei Monate sind mittlerweile vergangen. Zurück in Kigali. Im Büro sagt man uns, wir müssen von vorne beginnen und eine neue Geburtsbescheinigung beantragen, weil diese mittlerweile abgelaufen sei.

Also alles von vorne. Geburtsbescheinigung eingeholt, damit zum Büro, erneut. Ein anderer Mensch sitzt am Schalter. Er sagt, alles falsch. Wir müssen nach Gisenyi (schon wieder?). Nach Gisenyi gefahren. Treffen neue Leute im Büro des Gerichts. Sie sagen. Okay….

Also wir müssen eine Geburtsbescheinigung in dem Dorf einholen, wo er geboren wurde. Das heißt, 15 Minuten außerhalb von Gisenyi zwischen den Häusern, wo er vor 28 Jahren geboren wurde, jemanden aufsuchen, der eine Unterschrift geben kann. Natürlich möchte er ein Bier, oder zwei für seine großzügige Leistung. Aber es bleibt nicht bei einem Umuyobozi, sondern es müssen gleich sechs Unterschriften ran. Mit den Unterschriften darf er dann seine Geburtsbescheinigung beantragen. Nochmal die Gebühren für eine Geburtsurkunde zahlen (35 €), und zurück zum Gericht. Die sagen, gut, jetzt braucht ihr einen Anwalt, der euch alles schreibt – welche Gesetze Anwendung finden usw. Wir haben das Geld nicht. Und wir wollen doch nur eine Geburtsurkunde. Eine Dame, die im Gericht arbeitet, nimmt sich die Zeit, und diktiert uns, was man schreiben soll. Insgesamt 6 verschiedene Anschreiben, mit verschiedenen Inhalten. Ein formales Anschreiben an das Gericht, ein Schreiben, indem der Sachverhalt erklärt wird, ein weiteres Schreiben, mit der Bitte um zügige Bearbeitung usw.

Und dann? Nun müssen wir auf einer webseite die Dinge hochladen und den Fall eröffnen. Okay, das hatten wir letztes Jahr schonmal, aber wahrscheinlich weil wir nicht wussten, wie man diese ganzen Anschreiben machen soll, wurde der Fall einfach geschlossen. Also haben wir die Anleitung befolgt, einen Termin bekommen, um im Gericht vorzusprechen (der nach einem Monat stattfindet).  An dem besagten Tag sind wir im Gericht erschienen, und er wurde kurz befragt, dann sagte man ihm, er kann in zwei Tagen wiederkommen. Nach zwei Tagen erhält er ein sog. „Jugement Supplétif“ – was schonmal ein guter Anfang ist. Dafür muss er jetzt 5 € bezahlen und dann nochmal zur Bank gehen und weitere 5 € für eine andere Behörde bezahlen, die ihm seine Geburtsurkunde dann ausstellt. Sie sagen ihm, er solle nächste Woche wiederkommen und sie abholen. Nächste Woche sind wir wiedergekommen, und die Beamten in der Behörde wollen ihm seine Geburtsurkunde schreiben. Doch vorher muss er ein Formular von ihnen nehmen, und in die Stadt fahren, um es selbst zu kopieren (denn sie haben ja keine Formulare für solche Fälle wie Geburt, kommt schließlich nicht so oft vor). Kommt er wieder, weiß die Beamtin jedoch nicht, wie man das Formular ausfüllt. Kommt eine andere Beamtin herein und macht es schnell. Dann müssen wir es per Hand noch einmal abschreiben, weil sie nur in das Register geschrieben haben, wir ja aber auch eine Urkunde benötigen.

Mit dieser Urkunde sind wir wieder zurück nach Gisenyi-Stadt gefahren, denn sie muss von einer anderen Behörde gestempelt werden. Der Bürgermeister, der diese Aufgabe hat, ist jedoch nicht da. Wir warten, da man uns sagt – vielleicht kommt er ja nachmittags wieder. Nach 3 Stunden ist er da, und stempelt und zeichnet die Urkunde ohne Komplikationen.

Wir dachten: „Wundervoll! Endlich geschafft!“

Aber dann erlebten wir unser blaues Wunder, zwei Tage später beim Ministerium für Justiz, die für internationale Beglaubigen zuständig sind. Die Frau am Schalter sagt nämlich, alles falsch, die müssen die Geburtsurkunde so und so ausfüllen. Ich verzweifele. Also fährt Zouzou am nächsten Tag nochmal früh morgens die 4 Stunden nach Gisenyi, macht die Urkunde neu, und dann: „Der Bürgermeister ist heute nicht in der Stadt. Er ist in Kigali. Kommen Sie doch morgen wieder“.

Update:

Wir haben das Dokument dann abholen können. Als ich im Büro war um es mitzunehmen, saß dort auch eine „Bossin“ vom Sektor und sagte „Nee, das ist ja kein legales Dokument. Da ist die Rückseite ja auch bedruckt. Also, nee, das wird kein Ministerium akzeptieren“. Und ich konnte den Frust nicht länger zurückhalten und begann, zu weinen (jaja, ich wieder) – und sagte so etwas wie: „Soll das ein Witz sein? Wir haben sechs Monate damit verbracht, dieses eine Stück Papier zu bekommen und es weiß niemand, wie es richtig gemacht wird?“ Und sie sagte, wohl um mich zu beruhigen: „Naja versuchen Sie es mal, vielleicht klappt es ja.“